Beim 1:0-Sieg im Landesliga-Derby gegen den TSV Plattenhardt wird das bisherige Sorgenkind Rui Tiago Caldas de Carvalho zum Matchwinner. Aufseiten des Gegners brodelt es derweil und macht der Trainer Antonino Rizzo aus seiner Gemütslage keinen Hehl – er fühlt sich „verarscht“.
Die Augen waren weit aufgerissen, die Arme ausgebreitet wie zwei Flügel, und die Füße trommelten mit einem Tempo über den Rasen, als wollte er einen Sprintrekord aufstellen. Und dann hatte der Mann mit dem klangvollsten Namen im Aufgebot des Fußball-Landesligisten TV Echterdingen sein angesteuertes Ziel erreicht: Rui Tiago Caldas de Carvalho stürzte sich mit einer Wucht in die Arme seines Trainers, dass es diesen beinahe auf den Boden warf. Die Freude musste raus. Und wohl mindestens genauso die Erleichterung.
Seit diesem Sommer steht der 30-Jährige beim Filderclub unter Vertrag. Ein einstiger Zweitliga-Profi aus Portugal für die Gelb-Schwarzen. Ein Spieler, dem gleichermaßen der Ruf des Ballvirtuosen wie des Torjägers vorauseilte. Entsprechend groß war die Erwartungshaltung in den Goldäckern – und inzwischen aber auch die Ernüchterung. Denn statt als „Rakete“ zu zünden, wie von besagtem Coach Giuseppe Iorfida bei der Verpflichtung frohlockend avisiert, entwickelte der Neue sich in den Anfangsmonaten der Saison zu einem Sorgenkind. Erst im Urlaub, dann verletzt, dann auf Formsuche. Bis Samstagabend. Da war plötzlich alles anders. Da hatten die Echterdinger einen umjubelten Matchwinner. Und der hieß, richtig: Rui Tiago.
Die 69. Spielminute lief im Filderderby gegen den TSV Plattenhardt, als der Angreifer sich ein Herz fasste. Der eingewechselte Nils Große Scharmann legte an der Strafraumgrenze auf, Rui Tiago schaute kurz, und es folgte ein Schuss wie ein Strich. Mit Gewalt zum 1:0. Es sollte vor rund 400 Zuschauern der spielentscheidende Treffer sein. „Dass gerade er ihn erzielt, freut mich unheimlich“, sagte Iorfida, der nicht von ungefähr zum stürmisch Umarmten wurde. Im Abschlusstraining vor der Partie hatte er seinen Akteur zur Seite genommen gehabt. Ein Vier-Augen-Gespräch von Ex-Stürmer zu Stürmer. Details wollte Iorfida keine verraten – „was man halt so sagt, wenn einer Flaute hat“. Offensichtlich war es eine psychologische Aufbauarbeit, die auf fruchtbaren Boden fiel.
Unter dem Strich stand ein verdienter Echterdinger Sieg. Oder, um es mit Iorfida zu sagen: „Ein wichtiges Zeichen.“ Nicht nur in Sachen Rui Tiago, sondern für die Mannschaft insgesamt, die damit für den vorangegangenen 0:3-Blackout in Weilimdorf eine prompte Wiedergutmachung betrieb. Die Gastgeber hatten mehr Ballbesitz, sie stellten das entschlossener wirkende Team, und sie erspielten sich ein Chancenplus, auch wenn im Sechzehner oft die letzte Genauigkeit fehlte. Freilich: dennoch war es ein Erfolg, der zuletzt am seidenen Faden hing. Und damit zum Gegner. Bei dem, in Plattenhardter Reihen, brodelte es.
Die Szene, die bei den Gästen vollends den Blutdruck steigen ließ, ereignete sich in der Nachspielzeit. Ein letzter eigener Angriff, Fabien Borchardt setzte zum Dribbling an – und wurde von Felix Winkler ungestüm gefällt. So zumindest sahen es wohl die meisten im Stadion. Der Schiedsrichter Stefan Kohler (SC Lehr) jedoch nicht. Dessen Pfeife blieb stumm. „Ein klarer Elfer. Da haben wir Riesenglück“, räumte selbst Iorfida hinterher ein. Demgegenüber rang sein alter Kumpel und Amtskollege Antonino Rizzo bei der Rückkehr an seine einstige Wirkungsstätte um Fassung. Rizzos Kommentar: „Wir fühlen uns verarscht. Er zieht ihm eindeutig von hinten die Beine weg.“
Für den Vorjahresaufsteiger war es die dritte Schlüsselstelle der Begegnung, die zum Hadern berechtigte. Zuvor hatte bereits Theofilaktos Spiridopoulos wegen wiederholten Foulspiels just im Spiel gegen seinen Ex-Verein Gelb-Rot gesehen (55.) – und war Michael Deutsche mit einem 18-Meter-Schuss an der Querlatte gescheitert (70.). Die Fragen, die sich dann allerdings auch Rizzo in Richtung eigener Mannschaft stellte, waren: Warum nicht früher so? Warum erst in Unterzahl mit mehr offensivem Mut? „Das müssen wir uns vorwerfen“, sagte der Coach.
Als Beobachter von außerhalb darf man überhaupt grübeln: Wo ist sie geblieben, jene mächtige Angriffspower, mit der die Plattenhardter in der vergangenen Saison noch über ihre Konkurrenz hereinbrachen? Die aktuelle Partie jedenfalls lieferte wenig Anhaltspunkte dafür, wie dieses Ensemble vor Jahresfrist den Echterdingern an selber Stätte fünf Stück hatte einschenken können. Immerhin acht Gästespieler vom damaligen 5:2-Spektakel standen auch jetzt auf dem Platz. Offenbar nach wie vor kämpfen Rizzo und die Seinen mit den Nachwehen einer heuer wegen vieler Fehlender missratenen Sommervorbereitung.
Die Ausgangslage hat sich somit umgekehrt. Während Iorfida seit Samstag offen „einen Platz weiter unter den Top vier der Tabelle“ als neues Ziel bis zur Winterpause nennt, stecken die Plattenhardter mit der nun fünften Auswärtsniederlage in Serie im Abstiegskampf.
Luft nach oben haben, wenn man ihren Trainern glauben darf, indes beide noch. Wie viel Prozent Rui Tiago das nun eigentlich waren? Iorfida schätzt: „Vielleicht 70.“ Bezogen auf die fußballerische Leistung. Beim Jubel eher schon 100, das Maximum.
TV Echterdingen: Becker – Zogaj, Kuhn, Winkler, Hertel, Gerxhaliu – Heim, Bulut (86. Schmidt), Bey (72. Plattenhardt) – Rui Tiago (90.+1 Stehle), Dölker (61. Große Scharmann).
TSV Plattenhardt: Kapaun – Rueff, Göcer, Spiridopoulos, Grun – Schaschinek – Siekerman (61. Rippler), Tokic (58. Hermann), Deutsche, Giambrone (46. Borchardt) – Drljo (76. Tunc).